Nutzung von Mikroorganismen zur Erzeugung von elektrischer Energie

15
März

Mikroorganismen zur Energiegewinnung

Mikroorganismen als Stromlieferanten: Wie weit sind mikrobielle Brennstoffzellen wirklich?

Vision und Realität

Die Idee, dass lebende Mikroorganismen organische Abfälle oder Abwasser direkt in elektrische Energie verwandeln, klingt wie aus einer ökologischen Zukunftsvision: keine Verbrennung, keine großen Turbinen, stattdessen Biofilme, die an Elektroden wachsen und Elektronen annehmen, damit Strom fließt. Forschungsgruppen – unter anderem die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Uwe Schröder an der Technischen Universität Braunschweig – treiben diese Technologie der mikrobiellen Brennstoffzellen (Microbial Fuel Cells, MFCs) und der bioelektrochemischen Systeme seit Jahren voran. In Laboren wurden bemerkenswerte Fortschritte erzielt: neue Elektrodenmaterialien, dreidimensionale Strukturen und in einigen Fällen sehr hohe anodische Stromdichten. Doch die Übersetzung dieser Forschung in großmaßstäbliche, stabile und wirtschaftliche Anwendungen steht noch immer auf unsicherem Terrain. In diesem Artikel skizziere ich den Stand der Technik, nenne zentrale Durchbrüche (inklusive der berichteten Spitzenwerte), beleuchte die praktischen Hürden und gebe eine kritische Bewertung der Perspektiven.

Warum Mikroorganismen Strom erzeugen können – das Prinzip kurz erklärt

In einer mikrobiellen Brennstoffzelle oxidieren spezielle elektroaktive Mikroorganismen organische Substrate (etwa Bestandteile von Abwasser) und geben dabei Elektronen frei. Diese Elektronen werden nicht ausschließlich über Stoffwechselwege intern verwertet, sondern können über Membranproteine, nanodrahtartige Strukturen oder gelöste Shuttle-Moleküle an eine anodische Elektrode abgegeben werden. Die Elektronen fließen durch einen externen Stromkreis zur Kathode, wo meist Sauerstoff reduziert wird; über einen externen Verbraucher lässt sich so elektrische Leistung abgreifen. Die Effizienz dieses Vorgangs hängt entscheidend von der Anodenoberfläche, der Biofilmbildung, dem Elektrodenmaterial, der Geometrie und den Betriebsbedingungen ab. Grundlagen und Terminologie sind ausführlich in Übersichtsarbeiten dokumentiert.

Mikroorganismen als Energielieferanten

An der Technischen Universität Braunschweig ist das Team von Prof. Dr. Uwe Schröder dem Ziel, Mikroorganismen zur Energiegewinnung zu nutzen, näher gekommen.
Das Forscherteam beschäftigt sich seit Längerem mit elektrokatalytisch aktiven Bakterien. Ihr Ziel ist es, mithilfe dieser Biofilme eine neue Technologie zu entwickeln, die es ermöglichen soll, niedrigenergetische Biomasse wie Abwasser zur Gewinnung von elektrischer Energie oder auch zur Produktion von wertvollen Grundstoffen zu nutzen. Dieses Technologiekonzept ist unter dem Schlagwort „mikrobielle Brennstoffzelle“ oder der Bezeichnung „mikrobielle bioelektrochemische Systeme“ bekannt.

Noch ist es zwar ein langer Weg vom im Labormaßstab erfolgreichen Konzept zur fertigen Technologie, doch drei Bausteine können die Forscher aus Braunschweig in Zusammenarbeit mit externen Kooperationspartnern bereits beisteuern.

Was die Braunschweiger Forscher erreicht haben

Die Arbeitsgruppe um Prof. Schröder hat sich – anders als viele Projekte, die auf klassische Kohlenstoffanoden setzen – intensiv mit metallischen Anoden und alternativen Elektrodenstrukturen beschäftigt. In mehreren Publikationen und Projekten zeigten die Forschenden, dass durch gezielte Materialwahl und dreidimensionale Elektrodenarchitekturen deutlich höhere Stromdichten möglich sind als mit einfachen Flächenanoden. In der Folge konnten sie in Kooperationen mit Partnern (unter anderem Marburg und Chicago, wie frühere Pressemeldungen berichten) sehr hohe anodische Stromdichten messen; in manchen Dissertationen und Paper-Vorläufern werden Werte bis zu etwa 30 A/m² für bestimmte 3D-modifizierte Elektroden genannt — Größenordnungen, die in der MFC-Forschung als bemerkenswert gelten. Wichtig ist zu betonen, dass solche Spitzenwerte oft unter optimierten Laborbedingungen, mit definierten Substraten und nach langer Biofilm-Reifung erreicht werden.

Neuere Materialansätze: 3D-Elektroden, rGO-Aerogele und Co.

Parallel zu den Braunschweiger Arbeiten hat die internationale Forschung an Elektrodenmaterialien große Fortschritte gemacht. Beispiele sind elektrogereinigte rGO-Aerogele oder elektrogesponnene dreidimensionale Carbon-Faservliese; in einigen Studien wurden Spitzenstromdichten weit über den üblichen Milliwatt-Bereichen gemessen – ein iScience-Artikel berichtet beispielsweise über rGO-Aerogel-Anoden mit Peak-Werten im Bereich von mehreren Dutzend A/m² (je nach Messmodus und Referenzfläche sogar annähernd 90 A/m²). Solche Resultate zeigen: Die technische Limitation liegt zunehmend in der Architekturgestaltung der Elektrodenoberfläche und in der Frage, wie gut Mikroorganismen diese Flächen kolonisieren und dass die erzeugte Leistung auch in realen Substraten stabil bleibt.

Fortschritte durch internationale Kooperationen

Ein weiterer Fortschritt gelang in Kooperation mit den Universitäten Marburg und Chicago. Erstmals wurden Stromdichten von bis zu 30 Ampere pro Quadratmeter gemessen. Diese bislang unerreichten Leistungsfähigkeiten von bioelektrokatalytischen Anoden konnten durch neuartige Elektrodenmaterialien erreicht werden, auf denen die Mikroorganismen in drei Dimensionen wachsen und gedeihen.
Die Leistungssteigerung zeigt, dass mikrobielle Systeme das Potenzial haben, weit mehr als nur experimentelle Ansätze zu sein – sie könnten langfristig Teil nachhaltiger Energiekonzepte werden.

Warum hohe Stromdichten im Labor nicht automatisch Marktreife bedeuten

Laborresultate sind wertvoll, müssen aber kritisch kontextualisiert werden. Erstens unterscheiden sich Testsubstrate (hoch konzentrierte Modelllösungen) stark von realen Abwässern, die heterogen, toxisch und mit Partikeln belastet sind. Zweitens sind viele Messergebnisse als „projected surface area“ (projizierte Fläche) angegeben; rechnet man auf die reale, mikrobenzugängliche Oberfläche um, sinken viele Werte relativiert. Drittens erfordern hohe Stromdichten oft, dass sich Biofilme in einer bestimmten Art und Weise strukturieren – das kann Zeit, spezielle Nährstoffe oder kontrollierte Temperaturen benötigen. Viertens leiden viele MFC-Prototypen unter Fouling, Verstopfung von Strukturen, Korrosion und Prozessinstabilität bei Langzeitbetrieb. Deshalb ist es ein weiter Schritt vom Spitzenwert im Labor zum robusten Langzeitbetrieb in einem kommunalen Klärwerk. Hier setzt die kritische Bewertung an: Forschungserfolge müssen systemisch geprüft, skaliert und im realen Betrieb verifiziert werden, bevor man von einer „neuen Energiequelle“ sprechen darf.

Mögliche Anwendungsfelder – dort, wo MFCs realistischen Nutzen bringen können

Am realistischsten ist der Einsatz dort, wo zwei Bedingungen zusammenfallen: ein günstiges Substrat (Abwasser mit organischer Belastung) und ein lokaler Bedarf für geringe, aber kontinuierliche Energiemengen oder für dezentrale Chemieproduktion. Beispiele sind dezentrale Abwasserbehandlung mit teilweiser Energierückgewinnung, Sensorautonomie in dezentralen Kläranlagen, und die Kopplung von MFC-Anoden mit mikrobieller Elektrosynthese (Microbial Electrosynthesis, MES), bei der wertvolle Chemikalien wie organische Säuren erzeugt werden. In industriellen Nischen kann die Technologie ökonomisch sinnvoll sein, vor allem wenn sie Prozesse ersetzt, die aktuell teurer oder umweltbelastender sind.

Die Idee, Abwasser und andere Reststoffe zur Energiegewinnung zu nutzen, eröffnet gleich mehrere Vorteile. Zum einen könnte die Abwasseraufbereitung mit einem zusätzlichen Nutzen verbunden werden, da nicht nur sauberes Wasser entsteht, sondern gleichzeitig elektrische Energie produziert wird. Zum anderen ließen sich auch chemische Grundstoffe erzeugen, die für die Industrie von Bedeutung sind.

Ein denkbares Szenario ist die Integration solcher Systeme in Kläranlagen. Diese könnten sich teilweise selbst mit Energie versorgen und so den ökologischen Fußabdruck erheblich reduzieren. Auch in abgelegenen Regionen oder Entwicklungsländern wären mikrobielle Brennstoffzellen denkbar, da sie auf lokal verfügbare Abfälle zurückgreifen können.

Skalierungsprobleme und wirtschaftliche Hindernisse

Obwohl Materialinnovationen zu höheren Spitzenstromdichten führen, bleibt die Frage nach Skalierbarkeit: Die Herstellung großflächiger, dreidimensionaler Elektroden muss wirtschaftlich und reproduzierbar sein. Pulverbeschichtungen, 3-D-Druck oder Elektrospinnen sind mögliche Herstellungsverfahren, doch die Kosten für hochwertige Elektrodenmaterialien, die Prozesskontrolle und die wirtschaftliche Integration in bestehende Kläranlagen bleiben Herausforderungen. Hinzu kommen Betriebskosten für Pumpen, Wartung und Ersatzteile sowie Energiemengen für Belüftung und Pufferung, die den Nettoenergiegewinn schmälern können. Ökonomische Modelle zeigen häufig: Der Nettogewinn ist am höchsten, wenn MFCs neben Energie auch einen Prozessvorteil bieten (etwa zusätzliche Reinigung oder chemische Umwandlung), nicht wenn sie lediglich Strom liefern sollen.

Kritische Betrachtung der Herausforderungen

Trotz der beeindruckenden Fortschritte gibt es erhebliche Hürden, die den Weg zur Marktreife erschweren. Dazu zählen:

  • Skalierbarkeit: Ergebnisse im Labormaßstab lassen sich nicht automatisch auf industrielle Anwendungen übertragen.

  • Wirtschaftlichkeit: Der Aufbau und Betrieb mikrobieller Systeme ist bislang teurer als herkömmliche Energieerzeugung.

  • Stabilität: Biofilme reagieren sensibel auf äußere Einflüsse. Schwankungen in Temperatur, pH-Wert oder Nährstoffversorgung können die Leistung stark beeinträchtigen.

  • Akzeptanz: Der Gedanke, Strom aus Abwasserbakterien zu erzeugen, mag für viele Menschen ungewöhnlich wirken und könnte die öffentliche Akzeptanz hemmen.

Diese Aspekte zeigen, dass mikrobielle Brennstoffzellen zwar vielversprechend, aber keineswegs kurzfristig konkurrenzfähig zu etablierten Energietechnologien sind.

Umwelt-, Sicherheits- und Governance-Aspekte

Wenn MFC-Anlagen großflächig eingesetzt würden, entstünden Fragen zur Umweltbilanz, Materialversorgung und zur Regulierung. Einige verwendete Metalle oder Nanomaterialien in Elektroden können problematisch für Recycling und Entsorgung sein; Sicherheitsvorkehrungen beim Umgang mit feinem Elektrodenpulver sind nötig. Weiterhin müssen Betreiber Fragen des Eigentums, der Haftung und der Datenhoheit klären: Wer ist verantwortlich, wenn eine mikrobiell betriebene Anlage versagt? Wer besitzt die Biokulturen und die optimierten Elektrodenrezepte, wenn externe Firmen Komponenten liefern? Patentlandschaften und Lizenzrechte können den Zugang zu Technologien verengen und KMU ausbremsen. Diese gesellschaftlichen und rechtlichen Aspekte sind Teil der kritischen Debatte und dürfen nicht hinter technischen Schlagzeilen verschwinden.

Konkrete Forschungslücken und dringende Aufgaben

Die Forschung muss mehrere Lücken schließen, bevor MFCs in großem Stil wirtschaftlich sind: Langzeitstabilität von Biofilmen unter realen Substraten, robuste Anti-Fouling-Strategien, kostengünstige und recyclebare 3D-Elektroden, Energiemanagement-Systeme für schwankende Leistungen sowie Gesamtprozess-Analysen, die Energieinputs und -outputs vollständig bilanzieren. Außerdem sind unabhängige Pilotprojekte in realen Kläranlagen notwendig, begleitet von Härtetests unter variierenden Umweltbedingungen, um Durability-Daten über Jahre zu sammeln. Nur so lassen sich realistische Prognosen zur CO₂-Einsparung und Wirtschaftlichkeit treffen.

Vergleich mit anderen erneuerbaren Energien

Setzt man mikrobielle Systeme in Relation zu etablierten regenerativen Energien wie Solar- oder Windkraft, wird deutlich, dass sie aktuell in Bezug auf Effizienz und Kosten noch nicht mithalten können. Während Photovoltaik und Windenergie bereits großflächig eingesetzt werden, steckt die mikrobielle Technologie noch in einer frühen Entwicklungsphase.
Gleichzeitig bieten sie aber einzigartige Vorteile: Sie könnten Energie direkt aus Abfällen erzeugen, wodurch nicht nur Energie gewonnen, sondern auch Abfall reduziert wird – ein doppelter Nutzen, den klassische Technologien nicht in dieser Form leisten.

Kernpunkte zusammengefasst

  • Mikroorganismen können organische Substrate elektrochemisch oxidieren und dabei Elektronen an eine Elektrode abgeben; MFCs nutzen dieses Prinzip zur direkten Stromgewinnung.
  • Neuartige 3D-Elektroden und metallische Anoden**(u. a. Arbeiten von U. Schröder)** erhöhen die Spitzenstromdichten; Laborwerte bis in die Zehner-A/m²-Region wurden berichtet, lokale Spitzen sogar darüber.
  • Laborspitzenwerte sind kein Garant für Feldtauglichkeit: reale Abwässer, Fouling, Korrosion und Prozessinstabilitäten reduzieren typischerweise die dauerhaft erzielbare Leistung.
  • Wirtschaftlicher Erfolg ist wahrscheinlich dort, wo Energiegewinn mit Prozessvorteilen (Reinigung, Chemieproduktion) gekoppelt wird, nicht als reines Stromerzeugungsprodukt.
  • Kritische Punkte sind Skalierbarkeit der Elektrodenfertigung, Recycling von Materialien, Langzeitstabilität und eine transparente Patent-/Lizenzlandschaft.

Innovativ, aber kein sofortiger Gamechanger

Die Arbeiten aus Braunschweig und die Materialinnovationen international zeigen: Mikrobielle Brennstoffzellen sind wissenschaftlich in Bewegung und haben in bestimmten Nischen reales Potenzial. Der Sprung zur flächendeckenden, wirtschaftlich relevanten Energiegewinnung aus Abwasser ist dagegen bisher nicht gemacht. Entscheidend ist eine realistische Erwartungshaltung: Die Technologie kann Prozesse sauberer und effizienter machen, wenn sie richtig integriert wird – als Baustein in einem größeren Energiesystem, nicht als Ersatz für zentrale Stromerzeugung. Forschung, Industrie und Politik sollten daher gemeinsam auf verlässliche Pilotprojekte, offene Standardisierung und gerechte Patent- und Förderregeln setzen, damit die Technologie dem öffentlichen Interesse dient und nicht nur wenigen Akteuren wirtschaftliche Vorteile verschafft.

Zukunftsperspektiven

Die weitere Entwicklung mikrobieller Brennstoffzellen hängt stark von Forschungsinvestitionen und interdisziplinären Kooperationen ab. Biologen, Chemiker, Ingenieure und Ökonomen müssen gemeinsam daran arbeiten, die Technologie praxistauglich zu machen.

Ein möglicher Durchbruch könnte erzielt werden, wenn es gelingt, die Kosten der Elektrodenmaterialien zu senken und gleichzeitig die Leistungsfähigkeit zu steigern. Auch hybride Systeme, die mikrobielle Brennstoffzellen mit anderen Technologien kombinieren, könnten neue Perspektiven eröffnen.

Nicht zuletzt könnte die Technologie auch im Rahmen der Kreislaufwirtschaft eine bedeutende Rolle spielen, indem sie Abfälle in Energie oder Wertstoffe verwandelt.

Viel Potenzial, aber noch ein weiter Weg

Die Forschung zu mikrobiellen Brennstoffzellen zeigt eindrucksvoll, wie innovative Ansätze die Energiegewinnung revolutionieren könnten. Dennoch ist die Euphorie mit Vorsicht zu genießen: Technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Hürden müssen überwunden werden, bevor diese Systeme wirklich marktreif sind.
Wenn jedoch die bisherigen Fortschritte weiter ausgebaut werden und die nötige Unterstützung durch Politik und Industrie erfolgt, könnte die Nutzung von Mikroorganismen zur Energieerzeugung langfristig zu einem wichtigen Baustein der nachhaltigen Energieversorgung werden.